Blaschke, Ronald: Grundeinkommensdebatte in Deutschland und grundsätzliche Überlegungen, 2010 (Vortrag am 27. Januar 2010 in Seoul, Sogang University, Basic Income International Conference 2010, in: Basic Income Korean Network: Basic Income for All!, Seoul 2010, S. 215-235)

Ich möchte im Folgenden eine kurze Darstellung der Debatte über ein Grundeinkommen in Deutschland seit ca. 30 Jahren geben sowie grundlegende Fragestellungen und Antworten dieser Debatte festhalten.
Dabei werden erstens politische Akteure1 in der Grundeinkommensdebatte in Deutschland aufgelistet und deren Positionen zum Grundeinkommen kurz erläutert. Zweitens werden widersprüchliche Ansätze anhand ausgewählter konkreter Begründungs- und Ausgestaltungsmerkmale für ein Grundeinkommen oder für ähnliche Transfers verdeutlicht, die in Deutschland diskutiert werden. Vor diesem Hintergrund soll zum Abschluss auf grundlegend zu beantwortende Fragen in der Grundeinkommensdebatte hingewiesen werden.

1. Geschichte und politische Akteure in der Grundeinkommensdebatte in Deutschland

Die ersten Forderungen nach einem Grundeinkommen in Deutschland wurden 1982 von den unabhängigen Erwerbsloseninitiativen erhoben. Sie lehnten eine erzwungene Lohnarbeit ab und wollten das existenz- und teilhabesichernde
Grundeinkommen2, genannt Existenzgeld, nutzen, um selbstbestimmt zu leben und selbstorganisiert tätig sein zu können. Sie kritisierten die Entmündigung und den existenziellen Zwang durch die Lohnarbeit sowie staatliche Einmischungen in Bildung, Kultur. Sie setzten dagegen auf selbstorganisierte Bildung und Kultur, politische Aktivitäten frei von materiellen Existenzsorgen und selbstorganisierte materielle Produktion in solidarischen Ökonomien. Deren Kampf für das Existenzgeld für alle war begleitet von weiteren Forderungen: Mindestlohn und Erwerbsarbeitszeitverkürzung in der Lohnarbeit, gebührenfreie Nutzung öffentlicher Infrastrukturen, geschlechtergerechte Verteilung von Erwerbsarbeit und Reproduktionsarbeit, Aneignung der Produktionsbedingungen und -mittel. Die gewerkschaftlich orientierten Erwerbsloseninitiativen setzten dagegen lediglich auf Politiken, die im Rahmen der Lohnarbeitsgesellschaft verblieben: Erwerbsarbeitszeitverkürzung, armutsfeste finanzielle Absicherungen bei Erwerbslosigkeit, Schaffung von Erwerbsarbeitsplätzen.

In den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts erschienen in Deutschland viele Veröffentlichungen zum Thema Grundeinkommen in Deutschland. Hintergrund war unter anderem die Erkenntnis, dass weder der Arbeitsmarkt noch vom Arbeitsmarkt abgeleitete, lohnarbeitszentrierte Sicherungssysteme für alle eine existenzielle Sicherung ermöglichten. Außerdem standen die repressive Sozialstaatlichkeit und die Ausbeutung der sogenannten Dritten Welt, der Natur und der Frauen in der Kritik. Ökolibertäre sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diskutierten das Grundeinkommen aus verschiedenen Perspektiven – Armutsbekämpfung, Ökologie, Freiheit von staatlicher Bevormundung und radikaler Reformismus waren die Schlagworte. Ökolibertäre lehnten sowohl die industriell-kapitalistische Ökonomie als auch die damit verbundene paternalistisch-wohlfahrtsstaatliche Sozialpolitik ab. Sie forderten die individuelle Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel, um diese individuell oder in kollektiv-solidarischen Subsistenzwirtschaften einzusetzen. Die industrielle Massenproduktion sollte zugunsten ökologischer Produktionsweisen weitgehend dezentralisiert werden, die Reproduktionsarbeit als gleichwertige Tätigkeit anerkannt werden. Die Ausbeutung der sogenannten Dritten Welt durch die Industrieländer müsste gestoppt werden, deren Produktion an den eigenen Lebensinteressen ausgerichtet werden, nicht an den Bedürfnissen der reichen Länder. Im Zusammenhang mit all diesen politischen Ansätzen stand die Forderung eines Grundeinkommens als individueller Garant einer von ökologisch schädlicher Lohnarbeit und paternalistischer, repressiver Sozialpolitik unabhängig machenden materiellen Absicherung. In den deutschen Gewerkschaften dagegen wurden in dieser Zeit lediglich Vorstellungen über eine an Bedingungen und Bedürftigkeitsnachweise geknüpfte Mindestsicherung debattiert, die die zunehmend nicht mehr vor Armut schützenden, traditionellen Sozialversicherungssysteme mit einer Mindestsicherung ergänzen sollten. Grundsätzliche ökosoziale Kritiken am Wirtschafts- und Sozialsystem wurden nicht geübt.

Die Grundeinkommensdebatte wurde nach der deutschen Einheit nur in wissenschaftlichen Kreisen, in unabhängigen Erwerbsloseninitiativen, in anthroposophischen und katholischen Gruppierungen geführt. Die alternativen Grünen waren in der Parteienlandschaft des deutschen Staates angekommen und diskutierten lediglich sozialpolitisch geprägte Grundsicherungskonzepte. Die Grundsicherungsdebatte, ausgehend von den gewerkschaftlichen Debatten, wurde sowohl in der SPD (Sozialdemokratie) als auch in der damaligen Partei des demokratischen Sozialismus (PDS) geführt. Immerhin wurde dabei ein erweiterter Arbeitsbegriff diskutiert, der neben der Erwerbs- bzw. Lohnarbeit auch die Familienund Sorgearbeit (Reproduktionsarbeit) und das bürgerschaftliche Engagement einschloss. Die Grundsicherung, die nur eine materielle Grundabsicherung für Erwerbslose bzw. Menschen mit geringem Einkommen darstellen sollte, sollte auch diese Tätigkeitsformen materiell absichern. Auch wurde in der PDS bereits eine Grundsicherung diskutiert, die zumindest den Zwang zur Erwerbs- bzw. Lohnarbeit ablehnte, allerdings noch am Prinzip der Bedürftigkeitsprüfung festhielt.

Auch der große Existenzgeld-Kongress 1999, veranstaltet von politischen Akteuren aus der unabhängigen Erwerbslosenbewegung und aus der Bewegung der prekären Jobber, brachte nicht den gesellschaftlichen Durchbruch in der Grundeinkommensdebatte in Deutschland. Festgehalten werden muss aber, dass in der unabhängigen Erwerbslosenbewegung in Deutschland das Existenzgeld (ein bedingungsloses Grundeinkommen) bis heute fester Bestandteil der grundsätzlichen politischen Forderungen ist.

Einen Schub bekam die politische Debatte mit der Begründung des Grundeinkommens durch den Sozialphilosophen André Gorz in seinem Buch „Arbeit zwischen Misere und Utopie“. Dieses erschien im Jahr 2000 in deutscher Sprache. André Gorz verknüpfte die realen Entwicklungen in der Arbeitswelt (Subjektivierung, Entgrenzung und Prekarisierung der Arbeit, Vormarsch der wissens- und kompetenzbasierten Produktion) mit einer grundsätzlichen Kritik der Lohnarbeit. Daraus leitete er die Notwendigkeit eines Grundeinkommens (UBI strong), des Rechts auf den selbstbestimmten Wechsel zwischen verschiedenen Arbeits- und Tätigkeitsformen (Erwerbsarbeit, gemeinwesenbezogene, kulturelle und künstlerische Tätigkeiten, Bildung usw.) und des Ausbaus von öffentlichen Infrastrukturen für freie und gemeinschaftliche Betätigungen ab. Die Entwicklung der Gesellschaft von der Arbeitsgesellschaft hin zur freiheitlichen Kulturgesellschaft war sein erklärtes Ziel.

Mit dem Siegeszug neoliberaler Arbeitsmarkt- und Sozialpolitiken, die an sogenannte „Aktivierungs-“ und Vollbeschäftigungsstrategien gebunden waren, und der damit verbundenen Ankündigung verschiedener Sozialabbauvorhaben durch die Regierungskoalition von Sozialdemokratie und Grünen in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts, regte sich der intellektuelle und politische Widerstand in Deutschland – einerseits mit Argumentationen, die eine Rückkehr zur traditionellen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der 60iger und 70iger Jahre des 20. Jahrhunderts nahelegten, aber auch mit der Wiederbelebung der Idee des Grundeinkommens durch unterschiedliche politische Akteure. Ebenso wiederholten und betonten Gegner der Grundeinkommensidee ihre Positionen.

1. Im Dezember 2003 veröffentlichte eine Initiative mit dem Namen Freiheit statt Vollbeschäftigung ihre Thesen zum Grundeinkommen. Sie kritisierte das Festhalten am Ziel der Vollbeschäftigung als anachronistisch und mit unsozialen Folgen verbunden. Stattdessen plädieren die in der Initiative vereinten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für ein Grundeinkommen und damit für mehr Freiheit zu einem selbstbestimmten Leben aller Bürgerinnen und Bürger.

2. Am 09. Juli 2004, am Tag als die Bundesländer in Deutschland im Bundesrat der Ausweitung der repressiven und stigmatisierenden Grundsicherung (Sozialhilfe) auf alle Langzeiterwerbslosen zustimmten, gründete sich das deutsche Netzwerk Grundeinkommen. Die Gründung bereiteten der Hochschulprofessor Michael Opielka, die Erwerbslosenaktivisten Wolfram Otto und Ronald Blaschke, die stellvertretende Vorsitzende der damaligen Partei des demokratischen Sozialismus, Katja Kipping, und die Vorsitzende der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung Deutschlands, Birgit Zenker, vor. Sie waren auch die ersten Sprecherinnen und Sprecher des Netzwerkes Grundeinkommen. Gegründet wurde das Netzwerk mit über fünfzig Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Politikerinnen und Politikern aus dem grünen und linken Parteispektrum sowie von Aktivistinnen und Aktivisten der sozialen Bewegungen. Heute, fünfeinhalb Jahre nach der Gründung, hat das Netzwerk per 31.Dezember 2009 2.551 Einzelmitglieder und 74 Mitgliedsorganisationen und -Initiativen, einen wissenschaftlichen Beirat, einen Förderverein und einen zehnköpfigen Netzwerkrat. Das Netzwerk Grundeinkommen ist Mitglied der seit 1986 bestehenden internationalen Organisation Basic Income Earth Network (BIEN). Das Netzwerk Grundeinkommen hat sich die Aufgabe gestellt, einen die Parteien und die weltanschaulichen sowie theoretischen Zugänge übergreifenden Diskurs zum Grundeinkommen und die Einführung des Grundeinkommens (UBI strong) zu befördern. Das Netzwerk Grundeinkommen ist keinem bestimmten Modell und keinem bestimmten Begründungs- und Erklärungsansatz für das Grundeinkommen verpflichtet. Konsens sind folgende vier Kriterien des Grundeinkommens, das alle Menschen erhalten sollen: existenz- und teilhabesichernde Höhe, individuell garantierter Rechtsanspruch, keine Bedürftigkeitsprüfung, kein Zwang zur Arbeit oder zu einer anderen Gegenleistung (UBI strong). Auf der Mitgliederversammlung im Dezember 2008 wurde auch vor dem Hintergrund von grundeinkommensähnlichen Konzepten (partielle Grundeinkommen), die einen Sozialabbau befördern sollen, folgender Zusatz in die Statuten des Netzwerkes aufgenommen: „Das Grundeinkommen soll dazu beitragen, Armut und soziale Notlagen zu beseitigen, den individuellen Freiheitsspielraum zu vergrößern sowie die Entwicklungschancen jedes Einzelnen und die soziale und kulturelle Situation im Gemeinwesen nachhaltig zu verbessern.“ Zahllose Seminare, Workshops und Aktionen wurden vom Netzwerk Grundeinkommen durchgeführt. Es finden viele Gespräche mit Politikerinnen und Politikern, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Unternehmerinnen und Unternehmern sowie mit Vertreterinnen und Vertretern der Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen statt. Hervorzuheben sind die drei deutschsprachigen Grundeinkommenskongresse (Wien/Österreich 2005, Basel/Schweiz 2007, Berlin/Deutschland 2008), die in Kooperation mit den Grundeinkommensnetzwerken aus der Schweiz und aus Österreich sowie den Attac-Organisationen aus den drei Ländern veranstaltet wurden. Im Jahr 2008 wurde im September gemeinsam die jährliche internationale Woche des Grundeinkommens mit hunderten Aktionen und Veranstaltungen in den drei Ländern durchgeführt. Dieses Jahr ist die Woche des Grundeinkommens in der Zeit vom 20. bis zum 26. September geplant. Die Zusammenarbeit des Netzwerkes Grundeinkommen mit verschiedenen NGOs manifestierte sich zum 60. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte im Dezember 2008. Es wurde mit entwicklungs-, umwelt- und frauenpolitischen Organisationen sowie sozialen Bewegungen eine Erklärung über die Absicherung unbedingter Teilhaberechte erarbeitet und veröffentlicht. Das Grundeinkommen spielte in dieser Erklärung dabei eine wesentliche Rolle. Inzwischen hat das Netzwerk Grundeinkommen mehrere Online- bzw. Printdokumentationen zu Frequently Asked Questions und zur Geschichte der Grundeinkommensdebatte sowie vergleichende Darstellungen von Modellen für ein Grundeinkommen in Deutschland veröffentlicht.

3. Kurz nach der Gründung des Netzwerkes Grundeinkommen beschloss der Deutsche Bundesjugendring (DBJR) am 04. Dezember 2004 seine befürwortenden Eckpunkte zum Grundeinkommen (UBI strong). Der DBJR ist ein Netzwerk von 65 bundes- und landesweit arbeitenden Jugendorganisationen in Deutschland.

4. Attac Deutschland hatte bereits 2003 den Schwerpunkt „genug für alle“ beschlossen. Die Kernaussagen waren, dass jeder Mensch ein Recht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und Reichtum hat und dass genug materielle Ressourcen für alle Menschen auf der Erde da seien. Die Attac-Arbeitsgruppe Genug für alle hat die These entwickelt, dass unbedingte Teilhaberechte durch einen Mindestlohn und ein Grundeinkommen (UBI strong) eingelöst werden müssen. Für die Arbeitsgruppe Genug für alle steht neben der menschenrechtlichen Begründung für das Grundeinkommen die Kritik an der primären Vergesellschaftung durch Erwerbs- bzw. Lohnarbeit im Vordergrund.

5. Im Jahr 2005 trat in Deutschland der damalige Geschäftsführer der Drogeriemarkt-Kette dm, Götz Werner, mit seinen Vorstellungen zum Grundeinkommen medienwirksam an die Öffentlichkeit. Angeregt sind seine
Überlegungen von der auf Rudolf Steiner zurückgehenden Idee der sozialen Dreigliederung und von dem anthroposophischen Menschenbild. Götz Werner plädiert als einziger Protagonist in der Grundeinkommensbewegung für die Abschaffung aller Steuern zugunsten einer erhöhten Mehrwertsteuer und für ein substitutives Grundeinkommen. Substitutives Grundeinkommen heißt, dass das Grundeinkommen das Lohneinkommen bis zur Grundeinkommenshöhe vollständig ersetzen soll. Mit der Umstellung auf ein Mehrwertsteuersystem soll die Lohnarbeit von Arbeitskosten entlastet werden.

6. Die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung Deutschlands e. V. (KAB) beschloss auf ihrem Verbandstag im Oktober 2007 die Forderung nach einem Grundeinkommen. Orientiert wird auf eine Tätigkeitsgesellschaft, in der verschiedene Tätigkeitsformen (Erwerbsarbeit, Haus- und Familienarbeit, bürgerschaftliches Engagement) gleichermaßen anerkannt sind. Mit diesem Grundeinkommenskonzept sind die Forderungen nach einem Mindestlohn und einer Arbeitszeitverkürzung sowie dem Ausbau und der teilweisen Gebührenfreiheit von Infrastrukturen zum Beispiel im Bereich der Bildung verbunden. Die KAB startete auch eine Kampagne, um das Grundeinkommen europaweit in die Diskussion zu bringen.

7. Es kann festgestellt werden, dass in allen Parteien, die im Deutschen Bundestag vertreten sind (außer in der Freien Demokratischen Partei) die Debatte um das Grundeinkommen Fuß gefasst hat. So gibt es verschiedene Vorschläge von bekannten Politikerinnen und Politikern sowie recht starke Initiativen bei den Grünen und bei der Partei DIE LINKE. In der SPD (Sozialdemokratie) gewinnt die Debatte über das Grundeinkommen zunehmend an Beachtung. Bei der CDU (Christlich Demokratische Union) setzte sich ein ehemaliger Ministerpräsident eines Bundeslandes für ein Bürgergeld ein – ein bedingungsloser, aber sehr niedriger Transfer, der zudem viele andere soziale Sicherungen ersetzen soll.

8. In der evangelischen und katholischen Kirche entstehen immer mehr Initiativen, die das Grundeinkommen befürworten. Bei Anhängern beider Konfessionen wird das Grundeinkommen als Beförderer der Durchsetzung einer Tätigkeitsgesellschaft gesehen. Gemeint ist damit die Anerkennung der Tatsache, dass die Erwerbsarbeit nicht die einzige oder primäre Instanz der Vergesellschaftung und individueller Entwicklung sowie Erbringung notwendiger und nützliches Tätigkeiten ist. Insbesondere der ethisch-theologische Zugang zum Grundeinkommen wird diskutiert. In katholischen Kreisen wird die Subsidiaritätslehre so ausgelegt, dass das Grundeinkommen als eine materielle Grundlage subsidiärer und eigenverantwortlicher ökonomischer und sozialer Versorgung auf der Ebene des Individuums und mikrosozialer Beziehungen bildet. In protestantischen Kreisen wird die Rechtfertigungslehre im Sinne des Grundeinkommens interpretiert: Der Mensch ist vor Gott vor jeder Leistung gerechtfertigt und hat damit den Anspruch auf eine bedingungslose Grundabsicherung.

9. In den Wohlfahrtsverbänden und Gewerkschaften wächst an der Basis die Bereitschaft, das Grundeinkommen als eine gesellschaftspolitische Alternative für mehr Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität zu diskutieren. Festgestellt werden muss aber, dass bei den Wohlfahrtsverbänden und bei den Gewerkschaften insbesondere in den Führungsebenen noch eine weitgehende Orientierung auf traditionelle Arbeits- und Sozialpolitiken vollzogen wird. Die Gewerkschaftsführungen trennen sich nicht vom Primat der Erwerbs- und Lohnarbeit hinsichtlich grundsätzlicher Gesellschaftsgestaltung. Die Führungsspitzen der Wohlfahrtsverbände sind im großen Maße traditionellen lohnarbeitszentrierten Sozialversicherungssystemen und sozialen Fürsorge- bzw. Grundsicherungssystemen verpflichtet. Diese traditionellen Orientierungen sind nicht unwesentlich der geschichtlichen Herkunft und dem Interesse des Machterhaltes im politischen System Deutschlands geschuldet. Dazu muss berücksichtigt werden, dass Gewerkschaften als auch Wohlfahrtsverbände nach dem Zweiten Weltkrieg eine bedeutende Rolle im korporatistischen politischen System Deutschlands gespielt haben und auch noch spielen.

10.Die Arbeitgeberverbände verhalten sich prinzipiell ablehnend gegenüber dem Grundeinkommen. Befürchtet wird von diesen, ähnlich wie bei den Gewerkschaftsführungen, der Verlust des Machteinflusses hinsichtlich der Gesellschaftsgestaltung – orientiert doch das Grundeinkommen auf eine viel breitere Basis der ökonomischen, sozialen, bürgerlichen und politischen Rechte als in einer Erwerbs- bzw. Lohnarbeitsgesellschaft, deren maßgebliche politische Kräfte Gewerkschaften und Unternehmensverbände sind.

11.In der Wissenschaft beschäftigen sich unzählige Arbeiten mit verschiedensten Aspekten des Grundeinkommens – ökonomische, rechtliche, politische, ethische, soziale und wohlfahrtsstaatliche sowie kulturelle. Verschiedenste Zukunftskommissionen in Deutschland erachten das Grundeinkommen als eine diskussionswürdige Perspektive politischer Gesellschaftsgestaltung.

12. In vielen kleineren alternativen Gruppierungen, die sich grundsätzlich am alternativen Leben und subsistenzwirtschaftlichen Produzieren orientieren,
wird das ausreichende Grundeinkommen als ein notwendiger Bestandteil eines neuen Gesellschaftskonzepts diskutiert, was die individuelle Freiheit von der unökologischen, marktvermittelten Produktion und Konsumtion ermöglicht.

13.In der Kultur- und Kunstszene findet das Grundeinkommen aus zweierlei Gründen zunehmenden Anklang: Erstens sind Künstler und Kulturarbeiter in der Regel prekär existenziell abgesichert. Das Grundeinkommen würde aus deren Sicht Garant für ein von Existenzsorgen und von Wohlwollen und Einflussnahmen der Auftraggeber unabhängige Existenzsicherung sein. Zumal eine künstlerische Produktion (wie auch die wissensbasierte Produktion) sich nicht in die starren Formen der Erwerbs- bzw. Lohnarbeit und deren soziale Absicherungen pressen lässt. Zweitens haben Künstler und Kulturarbeiter ein sensibles Gespür für Veränderungen in der Gesellschaft und Bestrebungen nach mehr individueller Freiheit, mehr Solidarität und Menschlichkeit. Das Grundeinkommen wird als ein Instrument verstanden, das diese Bestrebungen befördert.

Festgehalten werden kann, dass sich in Deutschland die Debatte um das Grundeinkommen äußerst ausdifferenziert hat. Es existiert eine große Breite und Vielschichtigkeit der Zugänge zum Thema Grundeinkommen, der politischen Absichten und der konkreten Ausgestaltungen von Grundeinkommensmodellen. Ebenso kann festgehalten werden, dass die nach wie vor im korporatistischen politischen Gefüge Deutschlands etablierten Organisationen dem Grundeinkommen skeptisch bis ablehnend gegenüber stehen – trotz zunehmender Denk- und Diskussionsbereitschaften an der Basis dieser Organisationen.

2. Widersprüchliche Begründungs- und Ausgestaltungsansätze für ein Grundeinkommen und ähnliche Transfers, die in Deutschland diskutiert werden

Ich möchte die Grundeinkommensdebatte in Deutschland idealtypisch in zwei grundlegende Begründungs- und Ausgestaltungsansätze aufteilen, den marktliberalen und den humanistisch-demokratischen Ansatz. Wenn ich von einer
idealtypischen Aufteilung spreche, meint das, dass konkrete Begründungs- und Ausgestaltungsansätze durchaus in bestimmten Bereichen Überschneidungen und Mischformen beinhalten. Diese gewählte idealtypische Aufteilung orientiert sich an zwei gegensätzlichen Protagonisten bedingungsloser Transfers im 20. Jahrhundert – an Milton Friedman, einem marktliberalen Wirtschaftswissenschaftler, und an Erich Fromm, einem demokratischen Humanisten und Sozialisten, dessen 110. Geburtstag und 30. Todestag wir in diesem Jahr begehen. Ich werde nun im Folgenden entlang dieser Aufteilung ausgewählte konkrete Begründungs- und Ausgestaltungsmerkmale von Grundeinkommen bzw. grundeinkommensähnlichen Transfers als Bezugspunkt nutzen.

Zielsetzung und Höhe des Transfers

Der grundlegende Begründungs- und Ausgestaltungsansatz in marktliberaler Hinsicht ist es, mit einem Grundeinkommen öder ähnlichen Transfers die Menschen für den Arbeitsmarkt (Erwerbs- bzw. Lohnarbeit) flexibler nutzbar zu machen. Der bedingungslose Transfer soll unter der Voraussetzung des Abbaus arbeits- und sozialrechtlicher Mindeststandards wie Kündigungsschutz, Mindest- und Tariflöhne und der Lebensstandard sichernden Sozialversicherungssysteme den Menschen eine geringe (Über-)Lebensabsicherung bieten. Die dafür präferierten bedingungslosen Transfers liegen weit unter der Armutsgrenze gemäß europäischem Standard für Deutschland (ca. bei 800 bis 1.000 Euro Netto monatlich plus Kranken- und Pflegeversicherung). Diese Ansätze erfüllen also nicht das vierte Kriterium (Existenz- und Teilhabesicherung), wie es z. B. das Netzwerk Grundeinkommen in
Deutschland für die Höhe des Grundeinkommens definiert. Viele der mit einem Grundeinkommen verbundenen Hoffnungen auf einen Freiheitsgewinn der Menschen sind mit einem partiellen, also niedrigem Grundeinkommen als
vergebliche Hoffnungen zu bezeichnen. Begründung für diese niedrigen Transfers (Partial Basic Income) ist in marktliberaler Absicht auch, Niedriglohnsektoren auf dem Arbeitsmarkt auszuweiten bzw. zu eröffnen. Der grundeinkommensähnliche Transfer hat dabei die Funktion, Niedriglohn-Unternehmen und Niedriglohnwirtschaftsbereiche durch Steuern, also staatlich zu subventionieren. Erwerbs- und Lohnarbeit soll zum Zwecke ihrer Ausweitung billiger gemacht werden – eine klassische Kommodifizierungsstrategie. Der Transfer, so wird das Menschenbild und die ethische Norm beschrieben, soll ein „Sprungbrett in den Arbeitsmarkt“ sein. Dabei werden entgegen oft beteuerter wirtschaftsliberaler Grundsätze staatliche Interventionen nicht eingeschränkt, sondern im Sinne des Sprungbretts in den freien Markt eingesetzt. Ähnlich verhält es sich in marktliberalen Konzepten bezüglich des Zwanges zur Erwerbs- bzw. Lohnarbeit: Niedrige, partielle Grundeinkommen ersetzen sozialadministrative Zwangsmechanismen, zum Beispiel Strafen im Sinne von Leistungskürzungen bei Grundsicherungen. Aus dem Sprungbrett wird so eine Peitsche zur Erwerbs- bzw. Lohnarbeit – allerdings in einer subtileren und bürokratiefreieren Form, dem nicht existenz- und teilhabesichernden Transfer (partielles Grundeinkommen).
Demokratisch-humanistische Begründungs- und Ausgestaltungsansätze eines Grundeinkommens dagegen betrachten das Grundeinkommen als ein Mittel, den Menschen mehr selbstbestimmte Flexibilität hinsichtlich der eigenen Biografie und Lebensplanung und hinsichtlich verschiedener gesellschaftlicher Teilhabe- und Tätigkeitsformen zu ermöglichen – und zwar für beide Geschlechter gleichermaßen. Diese liberale Begründung des Grundeinkommens setzt auf eine ausreichende, also die Existenz und gesellschaftliche Teilhabe sichernde Transferhöhe (UBI strong) sowie auf die Ersetzung bürokratischer und paternalistischer, aber nicht auf die Abschaffung hoher sozialer Standards in Bezug auf die Erwerbs- und Lohnarbeit. Allerdings ermöglicht diese Ausgestaltung tatsächlich erstens das Nein-sagen-Können zur Erwerbs- und Lohnarbeit, zweitens die selbstbestimmte Kombination verschiedener Teilhabe- und Tätigkeitsformen im eigenen Lebensverlauf und im Alltag sowie drittens die ökonomisch abgesicherte demokratische Partizipation an allen öffentlichen Angelegenheiten, inklusive den wirtschaftlichen Angelegenheiten in und außerhalb des Unternehmens. Diese drei Begründungen und die entsprechenden Ausgestaltungen des Grundeinkommens sind Kennzeichen demokratisch-humanistischer Grundeinkommensansätze, die auf eine umfassende Dekommodifizierung in gesellschaftlicher und individueller Hinsicht setzen. Sie sind daher auch für Lohnarbeitende und Gewerkschaften attraktiv. Kennzeichen demokratisch-humanistischer Grundeinkommensansätze sind zusätzliche politische Forderungen wie Verbesserung der sozialen Mindeststandards in der Erwerbs- bzw. Lohnarbeit, Ausweitung der Partizipationsmöglichkeiten der Menschen und Förderung entsprechender bürgerschaftlicher bzw. zivilgesellschaftlicher Infrastrukturen. Dieser weite Grundeinkommensansatz wird in der Wissenschaft in Deutschland im Zusammenhang mit der Debatte über einen demokratischen Sozialstaat diskutiert. Der demokratische Sozialstaat sieht im Bürger als freien und solidarischen Menschen das Ziel transformatorischer und emanzipatorischer Ansätze. Der demokratische Sozialstaat löst sich damit grundsätzlich von kommodifizierenden und paternalistischen Strukturen. Er ist selbst ein Beförderer liberaler Demokratie, in der sich alle Menschen ohne Existenzängste und frei von grundlegenden ökonomischen Abhängigkeiten in die res publica einmischen können. In Verbindung mit dieser Theorie wird auch der Zusammenhang monetärer Transfers und öffentlicher Güter, Infrastrukturen und Dienstleistungen in Deutschland diskutiert.

Monetäre Transfers und öffentliche Güter / Infrastrukturen / Dienstleistungen

In marktliberalen Begründungs- und Ausgestaltungsansätzen für grundeinkommensähnliche Transfers wird die Frage der öffentlichen Güter, Infrastrukturen und Dienstleistungen entweder marginal, gar nicht oder im Sinne deren Kommodifizierung und Privatisierung diskutiert. Im letzteren Fall soll der Zugang und die Organisation der Gesundheitsversorgung, Bildung, Kultur, Mobilität und des Wissens den freien Kräften des Marktes überlassen werden. Wer sich vom niedrigen grundeinkommensähnlichen Transfer diesen Zugang nicht oder nur unzureichend leisten kann, hat das Nachsehen. Auch ein ausreichendes Grundeinkommen wäre ganz schnell aufgezehrt und wirkungslos verpufft, wenn das
Studium teuer wäre, die Nahverkehrsmittel und kulturellen Angebote ihre Preise erhöhen würden. Die dem demokratisch-humanistischen Ansatz verpflichteten Begründungen sehen im Grundeinkommen erstens eine ökonomische, und zwar monetäre Ermöglichung der bedingungslosen ökonomischen, sozialen, kulturellen und politischen Teilhabe an der Gesellschaft. Die nichtmonetäre materielle Seite der Ermöglichung dieser Teilhabe wäre der weitgehend gebührenfreie bzw. mit geringen Gebühren ermöglichte Zugang zu öffentlichen Gütern und Dienstleistungen. Zweitens wird in vielen demokratisch-humanistischen Grundeinkommensansätzen begründet und berücksichtigt, dass öffentliche Güter, Infrastrukturen und Dienstleistungen selbstverständlich nicht nur aus der Verfügungsgewalt des Marktes, sondern auch aus der Verfügungsgewalt eines paternalistischen Staates genommen werden müssen. Von grundsätzlicher demokratischer Mitgestaltung bis hin zu verschiedenen Formen selbstverwalteter Gestaltung der Infrastrukturen und Dienstleistungen reichen die Vorschläge, die im Zusammenhang mit der Einführung des Grundeinkommens gemacht werden. Die radikalste Form der Dekommodifizierung und libertären Ausgestaltung des öffentlichen Bereiches wird mit Ansätzen der selbstorganisierten, jenseits der Erwerbs- und Lohnarbeit erarbeiteten und angebotenen Güter, Infrastrukturen und Dienstleistungen vorgetragen. Ausreichende Grundeinkommen (UBI strong) und universelle Zugänge zu öffentlichen Gütern, Infrastrukturen und Dienstleistungen sind finanzierbar – unter der Voraussetzung der Umverteilung von monetären und materiellen Ressourcen.

Unbedingte Teilhaberechte und Umverteilung

Marktliberale Grundeinkommensbegründungen und -ansätze argumentieren mit geringen Kosten bzw. sogar mit Einsparungen im Staatshaushalt. Folge sind dann entsprechende niedrige, grundeinkommensähnliche Transfers (Partial Basic Income), der Abbau über diesen Transfer hinausgehender sozialer Leistungen und die Kommodifizierung sowie Privatisierung öffentlicher Güter, Infrastrukturen und Dienstleistungen. Darüber hinaus wird in der Regel mit diesen Ansätzen die Umverteilung von unten nach oben befördert bzw. obere Einkommensschichten von Steuerabgaben weiter entlastet. Entsprechend sind dann auch die Finanzierungsansätze des Transfers konzipiert. Ganz im Gegensatz dazu argumentieren Vertreter eines demokratisch-humanistischen Grundeinkommensansatzes entsprechend faktischer Entwicklungen in Deutschland , dass die Einkommens- und Vermögensungleichheit stark zugenommen hat. Das heißt, dass nur ein oberstes Zehntel immer mehr am gesellschaftlichen Reichtum partizipiert, mittlere und untere Schichten immer weniger. Der deutsche Steuerstaat hat an Umverteilungskraft enorm verloren. Die Verwirklichung unbedingter
Teilhabemöglichkeiten für beide Geschlechter in Form von Grundeinkommen und universell verfügbaren öffentlichen Gütern, Infrastrukturen und Dienstleistungen ist zwangsläufig mit einer Veränderung der Richtung der Umverteilung verbunden – statt von unten nach oben nunmehr von oben nach unten – und somit auch finanzierbar. Diese Richtungsänderung ist mit einfachen demokratischen Mitteln durchsetzbar, weil von ihr die große Mehrheit der Bevölkerung profitiert, letztlich sogar die oberen Einkommens- und Vermögensschichten. Außerdem, so die Argumentationen, würde die Verwirklichung der unbedingten Teilhaberechte langfristig die Gesellschaft von den enormen Krankheits- und Sicherheitskosten entlasten, die auf die derzeitigen unzulänglichen gesellschaftlichen Verhältnisse zurückzuführen sind. Darüber hinaus, so argumentieren einige Vertreter des demokratisch-humanistischen Ansatzes, könnten in einer sich entwickelnden Tätigkeits- und Kulturgesellschaft bestimmte notwendige Tätigkeiten auch verstärkt unentgeltlich erbracht werden, Bedürfnisse also jenseits bisheriger markt- und geldvermittelter Formen befriedigt werden. Damit wird auch die Frage verbunden, inwieweit die geldvermittelte Umverteilung langfristig die primäre Umverteilungsform bezüglich des Zugangs zu Ressourcen für die Verwirklichung unbedingter Teilhaberechte bleiben kann. Diese Frage stellt sich auch verschärft und dringlich vor dem Hintergrund der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise, die nicht die größte und letzte gewesen sein wird.

Unbedingte Teilhaberechte und die ökologische Frage

Ein noch nicht ausreichend entwickelter Diskussionsgegenstand im Zusammenhang mit der Grundeinkommensdebatte ist die ökologische Frage. In marktliberalen Ansätzen für ein Grundeinkommen wird dieses Thema nicht reflektiert. In demokratisch-humanistischen Grundeinkommensansätzen war dieses Thema bei den Ökolibertären von 25 Jahren in Deutschland schon präsent. Inzwischen stellt sich vor dem Hintergrund der Klima- und Energiekrise die ökologische Frage verschärft. Daher wird in einigen wenigen Debattenbeiträgen darauf verwiesen, dass unbedingte Teilhaberechte und das Recht auf eine ökologisch intakte Umwelt und auf eine nachhaltige Produktions-, Konsumtions- und Lebensweise nicht voneinander getrennt zu diskutieren sind. Es ist meine Überzeugung, dass einfache Antworten in der Grundeinkommensdebatte nicht möglich sind: etwa mit dem Verweis auf eine Finanzierung des Grundeinkommens durch Naturressourcenverbrauchssteuern oder darauf, dass das Grundeinkommen mit der Auszahlung eines Ökobonus verbunden wird. Grundsätzlich kann gefragt werden, ob es bei Beibehaltung der derzeitigen Produktions-, Konsumtions- und Lebensweise nicht zu extremen ökologischen und sozialen Verwerfungen (extremen Vermarktungen lebensnotwendiger Ressourcen, verstärkte Migrationsbewegungen, epidemischen Zunahmen von bestimmten Krankheiten) kommen kann, die die Verwirklichungschancen unbedingter Teilhaberechte immens schmälern – sondern die im Gegenteil zur Ausweitung unsolidarischer, ungleicher, gespaltener und bürgerkriegsähnlicher Verhältnisse innerhalb einer Gesellschaft und zwischen Gesellschaften führen. Wenn diese Annahme richtig ist, muss auch die intellektuelle und politische Grundeinkommensbewegung schnellstens in einen intensiven Dialog um die Fragen nachhaltiger ökonomischer, sozialer und ökologischer Gesellschaftsentwicklung eintreten.

Unbedingte Teilhaberechte und die Frage der Globalen Sozialen Rechte

Globalisierung ist in aller Munde. Und zwar im Sinne der Kennzeichnung globalisierter kultureller, politischer, ökonomischer, ökologischer und sozialer Entwicklungen – die zum Teil sowohl positiv, zum Teil auch negativ zu bewerten sind. Die negative Bewertung von Globalisierung lässt sich daraus ableiten, dass die Globalisierung insgesamt nicht zu einer Verbesserung der Situation von Mensch und Natur auf allen Kontinenten, sondern zur Zunahme gewalttätiger Konflikte, Hunger, rücksichtsloser Ausbeutung von Mensch und Natur geführt hat. Eine Schlussfolgerung globalisierungskritischer NGOs ist, dass die Durchsetzung von Menschenrechten nunmehr kein bloßer Appell an die jeweiligen Staaten sein kann, sondern durch konkrete Aneignungspraxen bezüglich der Menschenrechte erreicht werden muss. Es geht also um die faktische Aneignung individuelle Freiheit, soziale Sicherheit sowie ökologische Nachhaltigkeit garantierender gesellschaftlicher Rahmenbedingungen der Existenz aller Menschen. Ein grundlegender Bereich der Aneignung findet sich mit der Durchsetzung unbedingter Teilhaberechte für alle Menschen. Eine unbedingt abgesicherte Teilhabe der Menschen an gesellschaftlicher Gestaltung und Entwicklung, so die Argumentation, ist verbunden mit deren unbedingter materieller Absicherung, zum Beispiel in monetärer Form (UBI strong) und/oder nicht monetärer materieller Form (universell zugängliche öffentliche Güter, Infrastrukturen, Dienstleistungen) – und zwar an allen Orten des Globus. Die konkrete Aneignung eines Grundeinkommens als Globales Soziales Recht ist zum Beispiel die Sicherstellung eines solchen monetären Transfers für den Menschen an seinem Lebensort – unabhängig von Nationalität, Staatsbürgerschaft, Geschlecht, Alter, alleinig weil der Mensch ein Mensch ist. Vor diesem Hintergrund sind auch Grundeinkommensansätze, die lediglich Grundeinkommen nur für bestimmte Staats- bzw. Nationalitätenangehörige diskutieren, zu kritisieren. Marktliberale, aber auch andere Protagonisten von Grundeinkommen oder ähnlicher Transfers tun sich schwer mit dieser Aneignungsperspektive. Die Anerkennung globaler Freizügigkeit, die dem Kapital, dem Handel, der Wissenschaft schon größtenteils zukommt, wird bezogen auf den Menschen eher ablehnend diskutiert. Dabei liegt der Schlüssel zur Beantwortung berechtigter kritischer Fragen (zum Beispiel hinsichtlich befürchteter Migrationsbewegungen) im Ansatz der angeeigneten, also durchgesetzten Globalen Rechte für alle selbst. Ist doch die Freizügigkeit des Menschen als Globales Politisches Recht des Menschen (Weltbürger) verbunden mit dem Grundeinkommen, welches jeder und jedem Einzelnen auch im Land der sozialen und kulturellen Verwurzelung zusteht, selbstverständlich auch mit der Durchsetzung aller anderen, allen Menschen zustehenden Rechte im jeweiligen Land. Wenn also in jedem Land tatsächlich die ökonomischen, ökologischen, sozialen, kulturellen, politischen und bürgerlichen Menschenrechte umgesetzt wären, wäre doch die Freizügigkeit nicht eine durch Existenzangst und -not, durch soziale, kulturelle und politische Ausgrenzung oder Verfolgung erzwungene, wie es heute massenhaft der Fall ist. Somit würden Befürchtungen hinsichtlich zu erwartender Migrationsbewegungen in Größenordnungen zwar nicht vollkommen entkräftet. Allerdings kann die Debatte dann wieder entspannter mit dem Thema globale Freizügigkeit umgehen. Für eine Grundeinkommensdebatte, die dieser Logik verpflichtet ist, heißt dies, dass sie auf keinen Fall der Durchsetzung der unbedingten Teilhaberechte in Form monetärer Transfers allein und auch nicht nur in einem Land das Wort reden kann. Eine Grundeinkommensdebatte, die sich der Universalität ihres Anspruchs bewusst ist, muss sich in der Tat der Durchsetzung des Grundeinkommens national und global und der Durchsetzung aller anderen Menschenrechte verpflichtet fühlen.

3. Grundlegend zu beantwortende Fragen in der Grundeinkommensdebatte aus dem Blickwinkel der Diskussionen in Deutschland

In den nächsten Jahren müssen aus meiner Sicht folgende, mit dem Grundeinkommen zusammenhängende Fragen beantwortet werden:
1. Welche als Grundeinkommen bezeichneten Konzepte garantieren wirklich ein Mehr an Freiheit für die Menschen und ein Mehr an unbedingten Teilhabemöglichkeiten aller Menschen an der Gesellschaft, welche nicht?
2. Wie sind die breite Zustimmung der Menschen und auch der skeptischen bis ablehnenden Institutionen zum Grundeinkommen zu erreichen sowie die demokratische Einführung des Grundeinkommens voranzutreiben?
3. Welche ersten Schritte hin zu einem Grundeinkommen sind global, kontinental und national kurz- und mittelfristig möglich?
4. Mit welchen grundlegenden Politikansätzen muss ein Grundeinkommen angesichts der kapitalistischen Wirtschafts- und Finanzkrisen und der Umwelt- und Energiekrise verbunden werden?
5. Wie kann die internationale und nationale Grundeinkommensbewegung den komplexen und globalen Anforderungen bei der Aneignung Globaler Rechte durch alle Menschen gerecht werden – ohne dabei ihr ureigenstes Ziel, die Durchsetzung des Grundeinkommens als einen wichtigen Bestandteil dieser Rechte, zu vernachlässigen?

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde des Grundeinkommens, ich glaube, dass sich in der internationalen und in der koreanischen Grundeinkommensbewegung genügend intellektuelles und politisches Potenzial versammelt hat, um diese Fragen gemeinsam mit anderen Streitern für eine bessere Welt zu beantworten.

Grundeinkommensdebatte in Deutschland und grundsätzliche Überlegungen