Digitales Informationsgut bedeutet potenziell freier, universeller Zugang für alle und ist niemandes Eigentum. Was heißt das für Linke? Eine Debatte, Teil 2

  • Von Ronald Blaschke
  • am 14.06.2017 im neuen deutschland veröffentlicht
  • Lesedauer: 8 Min.

Im Kern geht es bei der Digitalisierung um eine Möglichkeit, Ökonomie und Gesellschaft politisch anders zu gestalten. Für Linke geht es dabei um die Überwindung des kapitalistischen Produktions- und Distributionssystems. Digitale Commons eröffnen den Blick auf eine zeitgemäße Transformationsstrategie und linke politische Ökonomie.

Digitale Güter sind entgrenzt und entgrenzend

Digitalisierung, ein jahrzehntelanger, regional und sektoral ungleichzeitig ablaufender Prozess in allen Arbeits- und Lebensbereichen, bedeutet eine dreifache potenzielle Entgrenzung: Entgrenzung von Kommunikation und Vernetzung in räumlicher und zeitlicher Hinsicht, Entgrenzung hinsichtlich der Verfügbarkeit, Entgrenzung der Kooperation und Kollaboration.

  • Digitale Informationsgüter können jederzeit und überall übermittelt und empfangen werden. Das Digitale als Kommunikationsmedium ermöglicht jederzeit und überall dialogische und kollektive Kommunikation und Vernetzung.
  • Über digitale Informationsgüter kann jede und jeder immer und überall verfügen.
  • Die produktive und konsumtive Aneignung, das ist Entwicklung, Bearbeitung, Nutzung digitaler Informationsgüter, kann jederzeit und überall stattfinden.

Aufgrund dieser Entgrenzungen ist in Zeiten der Digitalisierung sowohl Ökonomie als auch das Gemeinschaftliche zunehmend nicht einem bestimmten Arbeits- oder Lebensbereich, auch nicht einer bestimmten Arbeits- und Lebenszeit zuzuordnen. Digitale Informationsgüter sind aus genannten Gründen auch potenziell gemeinsame Güter (Commons).

Digitale Informationsgüter als commonistische Güter

Digitale Informationsgüter sind die Grundlage der Digitalisierung. Sie finden heute in allen Arbeits- und Lebensbereichen zunehmend mehr Anwendung. Digitale Informationsgüter existieren als Software, Daten und Datenbanken und Kulturgüter. Sie sind Algorithmen, Modelle, Abbildungen, Texte, Audios und Videos usw. Sie weisen im Vergleich zu materiell-stofflichen Gütern besondere gesellschaftliche und ökonomische Eigenschaften auf, die mit o.g. dreifacher Entgrenzung durch die Digitalisierung zusammenhängen. Ihre Marktfähigkeit, Verwertbarkeit, Kapitalisierung und Nutzung zur Profit-/Renditerealisierung ist aufgrund ihrer möglichen Eigenschaft als allen und jederzeit zur Verfügung stehenden Gutes (digitale Allmende, Commons) potenziell unmöglich.

Der Grund dafür ist, dass das digitale Informationsgut in der produktiven und konsumtiven Aneignung potenziell weder den Prinzipien der Ausschließbarkeit noch der Rivalität unterliegt: Ein bestimmter Apfel zum Beispiel ist ein rivales Gut – er kann nur einmal und an einem Ort gegessen werden. Ein digitales Informationsgut dagegen kann potenziell hier und woanders und von Millionen gleichzeitig in Kooperation oder Kollaboration produktiv und konsumtiv genutzt werden.

Ein bestimmter Schrank kann nur an einem Ort mit einer überschaubaren Menge von Menschen zu einer bestimmten Zeit gebaut werden. Ein digitales Informationsgut kann jederzeit und überall, sogar überall gleichzeitig und von einer unüberschaubaren Menge von zusammen arbeitenden Menschen (weiter)entwickelt und bearbeitet werden. Eine Übernutzung und Verringerung einer digitalen Allmende, die in der »Tragödie der Allmende« für nicht digitale, öffentliche Güter beschrieben ist, ist nicht möglich. Im Gegenteil, das weitgehende »Teilen« digitaler Güter verringert diese nicht, sondern mehrt sie quantitativ (Kopie) als auch qualitativ (Entwicklung) – das ist die »Komödie der Allmende« – je mehr, desto besser! (Rifkin).

Das Politische einer digitalisierten Ökonomie und Gesellschaft liegt also auf der Hand: Einer Privatisierung, damit einhergehender Limitierung und Verknappung, Verfügungsausschlüsse und Machtkonzentrationen, steht das digitalisierte Informationsgut von der Möglichkeit her entgegen. Digitales Informationsgut bedeutet potenziell freier, universeller Zugang für alle und ist niemandes Eigentum. Es steht für eine commonistische Logik, die niemanden ausschließt, die Menschen global vernetzt, die Öffentlichkeit, Transparenz, Nutzbarkeit und Verfügbarkeit für alle und gemeinsame Weiterentwicklung bedeutet. Wenn das digitale Informationsgut aber privatisiert wird, bedeutet das faktisch einen Ausschluss von Menschen und damit auch eine Entwicklungsschranke menschlicher Produktion und Konsumtion.

Kampf um die Aneignung digitaler Güter

Digitale Informationsgüter existieren nur auf materiellen, physikalischen Trägern (Speicher) und werden mithilfe bestimmte materieller Medien übertragen (elektrisch und optisch über Kabel, elektromagnetisch über Atmosphäre). Sie sind keine Singulärgüter. Für die Aufbewahrung, den Abruf und die Übertragung und damit für die produktive und konsumtive Aneignung und Nutzung von Informationsgütern bedarf es bestimmter Maschinen und Werkzeuge, Aufnahme- und Abspielgeräte, Materialien und Energiemengen – und eine anwendungsfähige Bildung im Umgang mit digitalen Gütern und deren Nutzung.

Wenn also digitale Informationsgüter auch real commonistische Güter sein sollen, ist eine Speicher- und Übertragungsinfrastruktur, Energieversorgung und Bildung notwendig, die die allgemeine Aneignung der digitalen Commons befördert. Außerdem müssen ausschließende Nutzungsmöglichkeiten durch geistige Eigentumsrechte (Urheberrecht, Patentschutz, Rechtsdurchsetzung im Internet) abgeschafft werden.

Bekannte linke Theoretiker wie Jeremy Rifkin und Paul Mason sehen zum einen das kapitalistische Produktions- und Distributionsregime infolge der Digitalisierung als instabil an, weil Digitalisierung potenziell das oben genannte privateigentümliche »Betriebssystem« dieses Regimes in Frage stellt. Zum anderen proklamieren sie einen Kampf zwischen »Monopol und Hierarchie« und dezentralen, nicht hierarchisch agierenden Netzwerken: oder zwischen einem digitalen Kapitalismus und einem digitalen Communismus. Das Ergebnis ist offen.

Digitale Commons und die sichtbare Hand

Rifkin, Mason als Michael Hardt und Antonio Negri betonen, dass keineswegs die voranschreitende Digitalisierung diesen Kampf selbst entscheidet. Sie sind nicht technikgläubig. Digitale Informationsgüter sind lediglich technische bzw. technologische Voraussetzung eines digitalen Commonismus.

Entscheidend für den Ausgang des Kampfes zwischen Monopol/Hierarchie und Netzwerken ist, ob es neben der rechtlichen Frage gelingt, die technische Infrastruktur (Verfügung über Materialien, Maschinen und Werkzeuge, die Energie und Bildung) so zu regulieren und zu organisieren, dass eine offene, dezentrale und ökologisch nachhaltige produktive und konsumtive Aneignung digitaler Commons möglich ist.

Dabei wird von Rifkin darauf verwiesen, dass gerade die Digitalisierung eine kostensparende, effiziente öffentliche Bereitstellung und Sicherung zum Beispiel von Energie und Bildung ermöglicht – auch in dezentralisierender Absicht: So zeigt er auf, dass eine dezentrale, lokale Energieerzeugung und -nutzung auf der Basis erneuerbarer Energien durch eine digitalisierte Erzeugungs- und Verbrauchssteuerung und Vernetzung mit anderen lokalen Energienetzen hochgradig effizient sein kann – und auch Energiepreise drastisch reduzieren könnte. Analog können öffentlich-zugängliche Bildungsmöglichkeiten durch das Internet dezentralisiert und intelligent verknüpft werden. Netzpolitik sollte natürlich, will sie den Zugang zu digitalen Informationsgütern und digitale Vernetzung allen gleich in hoher Qualität ermöglichen, frei zugängliche, offene und schnelle Netze technisch und rechtlich ermöglichen.

Wir sehen: Digitaler Commonismus benötigt also neben der rechtlichen auch eine technische bzw. infrastrukturelle Beförderung durch eine transparente und radikal demokratisch organisierte öffentliche Hand – eine »sichtbare Hand« im Gegensatz zur »unsichtbaren Hand« des kapitalistischen Marktes. Anders aber als das einige Linke im Sinn haben, ist eine solche Investition ins Öffentliche keine staatsfixierte, arbeitsmarkt- oder beschäftigungspolitische Aufgabe. Diese Investition ins demokratisch organisierte Öffentliche hat zum Ziel, die Produktion und Konsumtion digitaler Commons zu befördern und deren privateigentümliche Aneignung zu verhindern!

3-D-Druck – Möglichkeit nachhaltiger und dezentraler Produktion auf der Grundlage digitaler Commons

Die 3-D-Drucktechnik ist eine effiziente und nachhaltige Form der dezentralen Produktion und Konsumtion auf der Grundlage digitaler Informationsgüter. Ein 3-D-Drucker kann Objekte dreidimensional im Schichtaufbauverfahren nach einem digitalen 3-D-Modell ausdrucken, zum Beispiel Häuser, Autos, Werk- und Spielzeuge, selbst 3-D-Drucker, auch Lebensmittel. Mögliche Roh- bzw. Produktstoffe sind Kunststoffe, anorganische Materialien wie Metalle und Sand, organische Materialien wie Lebensmittelrohstoffe und Holz. Es können auch recycelte Abfälle verarbeitet werden.

3-D-Modelle können kollaborativ per Internet erarbeitet und weiterentwickelt werden sowie jeder und jedem frei zugänglich sein (digitale Commons). 3-D-Scanner können Kopien bestehender Produkte zur Nachdrucknutzung bzw. digitalen Weiterbearbeitung erstellen. Die Nutzung der 3-D-Drucktechnik ist sowohl attraktiv für individuelle Eigenarbeit als auch für solidarische Ökonomien und für lokale Gemeinwesen. Dies auch in ökologischer Hinsicht – weil die Möglichkeit der dezentralen Produktion und Konsumtion unter Nutzung regional vorhandener bzw. recycelter Materialien besteht.

Der Grund, warum ich diese Technik hier erläutere ist folgender: Technikanwendung mit digitalen Commons eröffnet wegen oben genannten Entgrenzungen durch Digitalisierung vielfältige Möglichkeiten der Belebung dezentraler, nachhaltiger und am Eigen- und Gemeinwohl orientierter Produktion und Konsumtion – und zwar global und mit der Möglichkeit, Monopole zu brechen. Grund genug für eine linken Politikansatz, solche Techniken und deren dezentrale und nachhaltige Nutzung politisch, rechtlich und infrastrukturell zu befördern.

Grundsatzfrage angesichts der Möglichkeiten der Digitalisierung

Die Grundsatzfrage, die die gesellschaftliche Linke angesichts der Möglichkeiten der Digitalisierung beantworten muss, ist: Schlägt sie sich mit Politik- und Investitionskonzepten (zum Beispiel rechtlicher, technisch-infrastruktureller Beförderung) auf die Seite der dezentralen, kollaborativen Produktion und Nutzung von digitalen Gütern durch die vernetzten Produzent*innen und Nutzer*innen – und begünstigt damit die Aufhebung von Privatisierung und Monopolisierung digitaler Commons?

Wenn sie diese Frage positiv beantwortet, steht eine weitere Frage an: Welche unterschiedliche Kombinationen und Formen solidarisch-ökonomischer, staatlich organisierter und auch marktwirtschaftlich orientierter Produktion sind möglich, die die allgemeine Aneignung der (digitalen) Commons fördern? Sowohl Rifkin als auch Mason wie auch die Vorschläge von Erik Olin Wright (vgl. Wright) weisen verschiedene Möglichkeiten auf, wie der allgemeine Zugang und die Nutzung produktiver Ressourcen in demokratischer Weise befördert werden kann.

Ronald Blaschke ist Philosoph und Pädagoge. Er hat 2004 das Netzwerk Grundeinkommen mitgegründet und engagiert sich auch in der Linkspartei sowie im Netzwerk Unconditional Basic Income Europe (UBIE) für diese Idee.

Es folgt Teil II: über Privateigentum und Wertschöpfung, die Krise der Grenznutzentheorie und das Grundeinkommen

Literatur

  • Fischbach, Rainer (2017): Die schöne Utopie. Paul Mason, der Postkapitalismus und der Traum vom grenzenlosen Überfluss, Köln: PapyRossa.
  • Gorz, André (2000): Arbeit zwischen Misere und Utopie, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
  • Hardt, Michael/Negri, Antonio (2010): Common Wealth. Das Ende des Eigentums, Frankfurt am Main/New York: Campus.
  • Mason, Paul (2016): Postkapitalismus. Grundrisse einer kommenden Ökonomie, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
  • Rifkin, Jeremy (2014): Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft. Das Internet der Dinge, kollaboratives Gemeingut und der Rückzug des Kapitalismus, Frankfurt am Main/New York: Campus.
  • Spehr, Christoph (2003), Gleicher als andere. Eine Grundlegung der freien Kooperation, in: ders. (Hg.): Gleicher als andere. Eine Grundlegung der freien Kooperation, Texte der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Band 9, S. 19-116.
  • Wright, Erik Olin (2017): Reale Utopien. Wege aus dem Kapitalismus, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Eine commonistische Ökonomie
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