Blaschke, Ronald: oikos und grundeinkommen. Ansprüche an Transformation und Emanzipation, 2008 (erschienen in Biedenkopf, Kurt ; Dahrendorf, Ralf ; Fromm, Erich , Hosang, Maik (Hg.), Kelly, Petry  u. a.: Klimawandel und Grundeinkommen. Die nicht zufällige Gleichzeitigkeit beider Themen und ein sozialökologisches Experiment. München 2008, S. 105-118)

Zuerst soll an den Zusammenhang von Ökologie (Beziehung zwischen Organismus und natürlicher/sozialer Umwelt), Ökumene (Menschengemeinschaft) und Ökonomie (Haushalt) erinnert werden. Den Begriffen zugrunde liegt das griechische Wort oikos, das Haus.

Als Haushalt galt in der Antike der kleine, familial-private Haushalt. Im Verlaufe der Geschichte entwickelten sich regionale, nationale und globale Haushalte – teils in privater, teils in staatlicher Hand. Bürgerlich-kapitalistische und patriarchale Wirtschaftslehren (Neoklassik, Keynesianismus) erfassen nur diese. Diese Wirtschaftslehren sind unfähig, die komplexen Beziehungen des oikos, des ganzen Hauses, in seiner ökologischen, ökumenischen und ökonomischen Dimension zu betrachten. Sie reduzieren den oikos auf das, was sich in der kapitalistisch geprägten Erwerbs- und Finanzwelt abspielt. Solche reduktionistischen Theorien sind Ausdruck der realen Herauslösung der Wirtschaft und der Arbeit aus ihrem natürlichen und sozialen Zusammenhang, aus dem oikos. Dieser Zusammenhang als auch (Spät-)Folgen vermeintlich produktiv-ökonomischen Tuns werden ausgeblendet: Nur das, was sich im geldvermittelten Arbeits- bzw. Kapitalbereich ereignet und erfassen lässt, wird als sinnvoll erachtet – weil es „ökonomisch“ sei, Arbeitsplätze, Konsumgüter und marktförmige Dienstleistungen zu schaffen, Profit zu machen, Rendite zu realisieren. Die staatliche Politik, die ganze Gesellschaft wird für diese reduktionistische „Ökonomie“ in die Pflicht genommen. Sei es, um Rahmenbedingungen der Renditewirtschaft zu schaffen oder um die Ökumene in einen Beschäftigungsstaat zu verwandeln.

Ansprüche an eine Transformation – demokratisch, sozial und ökologisch

Der kapitalistische Beschäftigungsstaat hat eine ökologisch und sozial fatale Logik: „‚Arbeitsplätze schaffen‘ – das ist oft Vorwand, die geschichtliche Entwicklung zurückzudrehen. Es ist der Vorwand für Bundespolitiker, um die Industrialisierungsgewinne steuerlich zu entlasten, es ist der Vorwand für Landespolitiker, den Energiekonzernen zu helfen, veraltete, ‚fossile‘ Energiekonzepte durchzusetzen, und es ist der Vorwand für Kommunalpolitiker, mit Steuermitteln den Investoren dabei zu helfen, mit riesigen Einkaufs- und Entertainmentcentern auf der grünen Wiese der Bevölkerung das wenige noch verbleibende Geld aus der Tasche zu ziehen.“1 Der o. g. reduktionistischen „ökonomischen“ Denkweise entspricht es auch, dass beim zurückliegenden Airbus-Arbeitsplatzkampf in Deutschland das Flugzeug als Klimakiller Nr. 1 und Airbus als Rüstungsproduzent keine Themen waren. Vor zwanzig Jahren gab es bei den IG Metallern wenigstens noch eine heftige Debatte über ihre Rüstungs-/Kriegsproduktion. Heute verhindert die nackte Existenzangst der Lohnabhängigen derartige Diskussionen. „Arbeitsplätze sichern“ ist die individuell verständliche, aber katastrophale Devise des Beschäftigungsstaates. Mit der reduktionistischen „ökonomischen“ Denkweise lässt sich auch der ungeheuerliche Verschleiß natürlicher und menschlicher Ressourcen erklären, der durch die „ökonomisch sinnvolle“ Verkürzung der Lebens- und Attraktivitätsdauer von Konsumgütern und Moden entsteht: „Alle unsere Produkte sind verfälscht, um ihren Absatz zu erleichtern und ihre Existenzdauer zu verkürzen.“2 Damit erklärte auch schon Paul Lafargue, der Schwiegersohn von Karl Marx, das Phänomen der ökonomisch ausbeutbaren „Arbeitssucht“ der Lohnabhängigen: Arbeiten um zu konsumieren um zu arbeiten usw. usf. Das ist die „ökonomisch sinnvolle“ Maxime des Kapitals als Herrschaftsverhältnis. Es geht dabei letztlich um Herrschaft über Menschen und deren Bedürfnisse sowie über die Natur.

„Ökonomisch sinnvoll“ scheint auch die Entsolidarisierung und Kolonialisierung der sozialen Lebenswelt – durch die zunehmende Dominanz „ökonomisierter“, zum Teil auch bürokratisierter, nämlich professioneller und bezahlter Dienstleistungs-Arbeit. Jürgen Habermas warnte zu Recht davor, dass „immer mehr persönliche Beziehungen, Dienste und Lebenszeiten in Objekte der Verwaltung oder in Waren verwandelt werden“.3 Die nun schon über dreißig Jahre währende Kritik an der Zerstörung der Ökumene, des solidarischen Zusammenhalts und der sozialen Integration ist kaum noch hörbar! Dazu passend findet sich in den genannten „ökonomischen“ Wirtschaftslehren der eigensinnige oikos des Mikrosozialen (Familie, Freund- und Nachbarschaft) und des Mesosozialen (bürgerschaftliches Engagement) nicht wieder. Schon gar nicht wird das Demokratie- und Selbstorganisationspotenzial einer in die Lebenswelt der Menschen eingebetteten Ökonomie diskutiert.

Die alltäglich geleistete immaterielle Produktion des Individuums, seines lebendigen Wissens, seiner Fähigkeiten und Fertigkeiten wird von den herrschenden Wirtschaftslehren ebenfalls ausgeblendet. Bestenfalls erscheinen diese als „Humankapital“, anerkannt und benötigt für die Verwertung im kapitalistisch-„ökonomischen“ Prozess. Karl Marx dagegen sah in diesem Fähigkeitsreichtum und der dämmernden Wissensökonomie die transformatorische Vergesellschaftung von Arbeit, Produktion und Distribution möglich werden.4 Denn: Eine der Eigenschaft des lebendigen Wissens gemäße Ökonomie ist das Vorbild einer anderen, einer Solidarischen Ökonomie. In dieser Ökonomie wird das dem Tausch von Waren immanente Äquivalenzprinzip aufgehoben – ein äquivalentes Geben und Nehmen ist nicht möglich, weil es für lebendiges Wissen und Fähigkeiten keine abstrakten Wertgrößen wie Zeit und Geld geben kann. Auch wird das Ausbeutungsprinzip ausgehebelt: Im gegenseitigen Wissens- und Fähigkeitstausch wird ein Mehrwert für alle erzielt. Alle gewinnen. Auch der, der Wissen und Fähigkeiten weitergibt, verliert nichts. Er hat sogar einen Zuwachs an Anerkennung, Reflexions- und Kommunikationsfähigkeit zu erwarten. Das heißt, in der Solidarischen Ökonomie ist nicht nur der materielle Gebrauchswert ein Maßstab für die Bewertung. Mindestens gleich geschätzt ist die mit der Produktion verbundene oder im Tausch von Fähigkeiten und Kompetenzen gesonderte immaterielle soziale Mehrwertschöpfung an Fähigkeiten, Kompetenzen und bewirkter organischer Solidarität.

Karl Marx hatte einen Begriff vom Menschen, welcher die Produktion seines Lebens bewusst und die Welt nach seinen Bestimmungen des Schönen gestaltet.5 Eine Abkehr von der reduktionistischen „Ökonomie“ hin zu einer Solidarischen Ökonomie hieße zuvörderst gesellschaftlich und individuell zu reflektieren: Was braucht mensch eigentlich zum guten und schönen Leben? Was heißt eigentlich „gut und schön leben“? Bewusst, solidarisch und mit ästhetischem Anspruch die Produktion und das Leben gestalten und genießen – das ist dem Menschen gemäß! Der Ruf nach „Arbeitsplätzen“ und „Beschäftigung“, nach „Massenkaufkraft“, „Export- und Binnenkonjunktur“ dagegen ist Ausdruck des Schlafes der menschlichen Vernunft, welcher hässliche und lebensbedrohliche Ungeheuer gebiert. Und sollten im Namen der Vernunft einige Arbeitsplätze in ökologisch verantwortbaren Produktionsbereichen geschaffen werden, löst sich das Problem dennoch nicht. Denn eine Ökonomie des ganzen Hauses verweist darauf, dass massenhaft ökologisch und sozial unverantwortbare, also desaströse Arbeitsplätze stillgelegt werden müssen. Demokratisch diskutiert werden muss also, was eigentlich von mensch verantwortbar (d. h. unter Schonung natürlicher und menschlicher Ressourcen) gewollt und konsumiert werden kann, folglich produziert werden soll. Verantwortbar meint, dass mögliche Ungewissheiten bezüglich der (Spät-)Folgen des Tuns sich erst ethisch und demokratisch rechtfertigen müssen. Sensible demokratische und technische Frühwarnsysteme müssen geschaffen werden. Im

Zweifelsfalle ist das Unterlassen höchste menschliche Leistung! Die Anwendung Grüner (Pflanzen) und Roter (Tiere, Menschen) Gentechnik ist solch ein Zweifelsfall. Denn deren mögliche Folgen sind unkontrollierbare Manipulationen des Natürlichen, Sozialen und Individuellen bis hin zur totalitären Machtkonzentration. Der unabschließbare demokratische Diskurs über das Ob und das konkrete Was der Produktion und Konsumtion ist ein Prozess der Selbstermächtigung – Menschen erlangen die Macht über ihre eigenen produktiven und konsumtiven Bedürfnisse. André Gorz formulierte das Problem des Machtverlustes über eigne Bedürfnisse in Anlehnung an die Marxsche Entfremdungstheorie: „Für den Arbeiter-Konsumenten liegt der wesentliche Zweck seiner Arbeit darin, das Geld zum Kauf von Waren zu verdienen (…). Die ökonomische Rationalisierung der Arbeit wird somit die antike Idee der Freiheit und der existentiellen Autonomie zu Grabe tragen. Sie lässt ein Individuum entstehen, das – bereits in seiner Arbeit entfremdet – auch in seinem Konsum entfremdet sein muß.“6 Für Gorz galt daher: „Der politische Inhalt des Konflikts zwischen Kapital und lebendiger Arbeit liegt gerade auf der Ebene von Produktionsentscheidungen, also der inhaltlichen Bestimmungen von Bedürfnissen und der Art und Weise ihrer Befriedigung. Letztlich geht es um die Macht, über den Zweck und die gesellschaftliche Verwendung der Produktion zu entscheiden (…). „7 Herbert Marcuse, Vertreter der kritischen Theorie und geistiger Kopf der 68er-Bewegung in Deutschland, schaute sehr genau auf die Subjektseite der Arbeitsmanipulation, die falschen (Freizeit-)Bedürfnisse: „‚Falsch‘ sind diejenigen, die dem Individuum durch partikuläre gesellschaftliche Mächte, die an seiner Unterdrückung interessiert sind, auferlegt werden: diejenigen Bedürfnisse, die harte Arbeit, Aggressivität, Elend und Ungerechtigkeit verewigen. Ihre Befriedigung mag für das Individuum höchst erfreulich sein (…). Die meisten der herrschenden Bedürfnisse, sich im Einklang mit der Reklame zu entspannen, zu vergnügen, zu benehmen und zu konsumieren, zu hassen und zu lieben, was andere hassen und lieben, gehören in diese Kategorie falscher Bedürfnisse.“8 Marcuse sieht sehr wohl in der fortgeschrittenen Produktivität durch Automatisation die Freiheit des Menschen ermöglicht – als „Freiheit von der Wirtschaft“, „von Kontrolle durch ökonomische Kräfte und Verhältnisse; als Freiheit vom täglichen Kampf ums Dasein, davon, sich seinen Lebensunterhalt verdienen zu müssen. Politische Freiheit würde die Befreiung der Individuen von der Politik bedeuten, über die sie keine wirksame Kontrolle hätten. Entsprechend würde geistige Freiheit die Wiederherstellung des individuellen Denkens bedeuten, daß jetzt durch Massenkommunikation und -schulung aufgesogen wird (…).“9 Oder anders ausgedrückt: Die menschlichen Energien, die jetzt für die desaströse Arbeit‑Konsum-Arbeit-Spirale verausgabt werden, müssen in Richtung einer politischen und geistigen Freiheitsrealisierung gelenkt werden. Die emanzipatorische Selbstermächtigung der Menschen über die eigenen Bedürfnisse, damit über Produktion und Konsumtion, ist – neben dem Grundeinkommen – eine weitere wichtige weitere Bedingung dafür. Keine Transformation der Gesellschaft ohne Emanzipation der Menschen von der Fremdverfügung!

Nach der Entscheidung über das Ob und Was der Produktion und Konsumtion wäre weiterhin über das Wie der Produktion und Konsumtion zu befinden. Zum WIE gehört, dass die Menschen entscheiden, in welcher gesellschaftlichen Form das als notwendig und sinnvoll Erachtete produziert werden soll – im makro-, meso-, mikrosozialen oder individuellen ökonomischen Kontext. Es kann sein, dass bestimmte Produktionen sinnvollerweise in Makroökonomien vonstatten gehen oder in kleineren oder kleinen sozialen Bereichen. Zum WIE der Konsumtion gehört ebenso die Frage nach einer der demokratischen Gesellschaft gemäßen Verteilungsform. Diese Distribution muss die freie produktive und konsumtive Teilhabe aller Menschen an der Gesellschaft absichern – ohne den Menschen zu einer bestimmten Teilhabeform zu zwingen. Sie muss politische und individuelle Freiheit aller materiell garantieren. Das Bedingungslose Grundeinkommen, eine die Existenz sichernde und Teilhabe ermöglichende egalitäre Grundabsicherung aller Menschen, ist sehr geeignet dafür. Nicht aber Grundsicherungen oder niedrige grundeinkommensähnliche Transfers – denn beide verhindern die freie Teilhabe der Menschen an gesellschaftlichen Prozessen. Sie zwingen die Menschen zurück in die fatale Tausch- bzw. Marktlogik.10

Die hier genannten politisch-diskursiven Prozesse über das Ob, Was und Wie stellen derzeitige Herrschaftsverhältnisse in Frage, ebenso wie es das Bedingungslose Grundeinkommen selbst tut. Weiter noch: Das Grundeinkommen ermöglicht den Menschen, menschlich produktiv zu sein. Produktivität ist nach Erich Fromm erst menschlich, wenn sie mit „innerer Beteiligung“ vonstatten geht, nicht eine erzwungene Aktivität ist. Produktivität „muß nicht notwendigerweise mit der Hervorbringung eines künstlerischen oder wissenschaftlichen Werkes bzw. von etwas ‚Nützlichem‘ verbunden sein. (…) Der produktive Mensch erweckt alles zum Leben, was er berührt. Er gibt seinen eigenen Fähigkeiten Leben und schenkt anderen Menschen und Dingen Leben.“11 Augenscheinlich aber, und seit Jahrzehnten auch mit andern Sinnen deutlich erfassbar, ist Arbeit keineswegs und ausschließlich menschlich produktiv, sondern im hohen Maße äußere Natur und Menschen sozial sowie seelisch zerstörend, also destruktiv. Demokratie und Bedingungsloses Grundeinkommen sind Essentials einer Solidarischen Ökonomie, die es mit o. g. sozialer Mehrwertschöpfung und auch mit der Ökologie ernst meint. Denn eine Solidarische Ökonomie sieht in der äußeren Natur keine auszuplündernde Stoffmasse, sondern eine eigenständige und gleichberechtigte Mitbewohnerin des ganzen Hauses. Sie führt in der Reflexion auf das Sinnvolle des menschlichen Tuns und auf die Eingewobenheit des Menschen in die Ökumene und in das ganze Haus, den oikos zurück. Diese Reflexion, die das Ob, das Was und das Wie menschlichen Tuns beinhaltet, die die emotionale und rationale Klarheiten für die Produktion und Konsumtion ermöglicht, die die Eingewobenheit des Menschen in den oikos erfahren läßt, ist nur jenseits der laufenden Produktion und Konsumtion möglich: Gesellschaftlich ist diese Zeit dem gemeinsamen öffentlichen Diskurs zuzurechnen. Individuell ist es die Mußezeit, die Zeit jenseits jeglicher, auch öffentlich-politischer Geschäftigkeit.12 Es kommt darauf an, diese Zeiten und Möglichkeiten zu mehren, eine gesellschaftliche und individuelle Entschleunigung des Lebens zu befördern – wirkungsmächtig unterstützt durch die Demokratie- und Mußepauschale „Bedingungsloses Grundeinkommen“.13

Ansprüche an eine Emanzipation – freiheitlich, sozial und ökologisch

Zum Ansatz der Solidarischen Ökonomie gehört notwendig die Emanzipation des Individuums – in erster Hinsicht vom Zwang zum ökologisch, sozial und ökonomisch unverantwortbaren Tun. Vonnöten ist die konsequente Abwehr des Zwanges, weil das ökologische und soziale Gewissen des Einzelnen prinzipiell über den Bestimmungen der Vielen bzw. der Mehrheit steht – seien diese noch so demokratisch hergestellt. Das Bedingungslose Grundeinkommen ist eine Möglichkeit der Abwehr – weil es den existenziellen oder institutionellen Zwang zum unverantwortbaren Tun abschafft und die individuelle Freiheit als Voraussetzung von gelebter Verantwortung und Demokratie materiell absichert.

Das Bedingungslose Grundeinkommen ist darüber hinaus die der unbedingten Würde des Menschen adäquate Form der existenziellen Grundabgesichertheit: Eine anerkannte unbedingte, unveräußerliche Würde des Menschen erheischt deren unbedingte materielle Grundabsicherung.14 Das Bedingungslose Grundeinkommen ist ein Menschenrecht, ein Globales Soziales Recht. Hoffnungsvoll ist die Initiative, die in die Debatte um die Globalen Sozialen Rechte die zukunftsfähige Entwicklung menschlicher Lebensweise und Ökonomie einbindet: „Die Komplexität eines Projektes für Globale Soziale Rechte scheint sich nochmals zu vervielfachen, sobald die unumgänglichen ökologischen Fragen einbezogen werden. Was bedeutet Globale Ökologische Gerechtigkeit, wenn die klassischen Industrieländer die historische Schuld (nicht nur) für den Klimawandel tragen, einige Schwellenländer mittlerweile an der Schraube mitdrehen und vor allem die armen Länder von den Konsequenzen betroffen sind? Hinzu kommt die zeitliche Brisanz: Gelingt es nicht, den globalen Trend der ansteigenden CO2 Emissionen in den nächsten 10 – 15 Jahren zu brechen, drohen unkontrollierbare und unumkehrbare Folgen.“15 Es ist nicht nur kritisch festzustellen, dass soziale Ungerechtigkeit durch ökologische Ungerechtigkeit verschärft wird. Es ist auch zu fragen, wie die unbedingt nötige Einschränkung des bisherig dominierenden Lebensstandards ohne eine Verschärfung der bestehenden sozialen Ungleichheit bzw. mit deren Aufhebung zu bewerkstelligen ist. Chris Methmann, Organisator des Umweltkongresses McPlanet.com und Mitstreiter im Koordinierungskreis von Attac Deutschland, beantwortet die Frage so: „Wer fordert, dass die Menschen ihren ökologischen Gürtel enger schnallen, der muss auch für einen gleichen Leibesumfang sorgen.“16 Das Bedingungslose Grundeinkommen soll für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen, den Leibesumfang aller also gleicher gestalten, so Methmann. Eine radikale Umverteilung steht also auf der Tagesordnung. Erst auf diese Weise ist die ökologische und (überlebens-) notwendige Bescheidung nicht die soziale Ungerechtigkeit, Armut und Ausgrenzung verschärfend, sondern sie beseitigend. Die Durchsetzung des Menschenrechts auf ein würdevolles und freies Leben, also die mögliche Emanzipation aller Menschen, wird sozial als auch ökologisch ermöglicht.

Drittens legt erst das Grundeinkommen einen sicheren Grund für freie Kooperationen17 – egal in welcher ökonomischen Sphäre. Existenziell, institutionell bzw. strukturell erzwungene Kooperationen dagegen beschädigen Solidarische Ökonomien nachhaltig. Oder zerstören sie vollends. Dies gilt auch hinsichtlich der geschlechtsspezifischen Sichtweise. Neben dem Bedingungslosen Grundeinkommen sind weitere Rahmenbedingungen zu schaffen, die die institutionell und strukturell bedingten Benachteiligungen von Frauen in den verschiedenen ökonomischen Sphären aufheben. Die Emanzipation von Frauen, die die patriarchalischen Rationalisierungs- und Marktmuster versucht zu kopieren, reproduziert diese Muster lediglich. Das emanzipatorische Potenzial wird verschenkt oder ins Gegenteil verkehrt. Viertens ermöglicht das Bedingungslose Grundeinkommen allen Menschen ein Mehr an autonomen Tätigkeiten: „Autonome Tätigkeiten, in denen ‚die menschliche Kraftentfaltung (…) sich als Selbstzweck gilt‘ (Marx), realisieren Güter, die ‚um ihrer selbst geschätzt werden‘ (Aristoteles), haben also auch eine ökologische Dimension – ermöglichen doch erst sie eine Kultur der ‚Selbstgenügsamkeit‘ (autarkeia) (…).“18 Ein bestimmter Teil der autonomen Tätigkeiten bedarf frei zugänglicher öffentlicher Infrastrukturen – Bibliotheken, Clubs, Vereine, Kulturzentren etc. Diese sind neben dem Grundeinkommen zu schaffen. Sie sind ein wichtiger Faktor, um den Wandel von dem den oikos gefährdenden homo consumens zum autonomen produktiv-tätigen Menschen19 bzw. den Wandel der Arbeitsgesellschaft zu einer Kulturgesellschaft zu bewirken.20

Neben dem Grundeinkommen ist die höchstmögliche Öffentlichkeit und Transparenz der Produktion und Konsumtion eine weitere Möglichkeit der Abwehr ökologisch und sozial unverantwortbaren Produzierens und Konsumierens durch das Individuum. Hier sind die Stichworte sozialer und ökologischer Produzenten- und Verbraucherschutz. Nur wer weiß, was und wie produziert wird, kann verantwortungsbewusst Produkte bearbeiten bzw. konsumieren. Keine Freiheit und Demokratie ohne Transparenz und Öffentlichkeit!

Fazit

Eine Ökonomie des ganzen Hauses ist gebunden an individuelle Freiheit, radikale Demokratie und an den (spirituell, religiös, weltanschaulich) normativ gesicherten Respekt vor der Eigensinnigkeit und der Eigenständigkeit der äußeren Natur, der sozialen Lebenswelt und des Individuums. Sie beinhaltet eine Gesellschaftstransformation und die Emanzipation der Einzelnen. Es geht um einen Gleichklang von sozialer und ökologischer Gerechtigkeit. Nur in dieser Option ist ökologisch fatalen Phänomenen – wie z. B. dem Klimawandel mit all seinen sozialen und individuellen Bedrohungen – wirksam zu begegnen. Alles andere scheint technokratische „Nachhaltigkeits“flickschusterei und nicht zukunftsfähig. Das Bedingungslose Grundeinkommen ist ein Projekt für eine zukunftsfähige Gesellschaft – eingebettet in weitere notwendige Projekte.

 

Fußnoten

1 Günther Moewes: Geld oder Leben. Umdenken und unsere Zukunft nachhaltig sichern. Wien, München 2004. S. 142.

2 Paul Lafargue: Das Recht auf Faulheit. Widerlegung des ‚Rechts auf Arbeit‘ von 1848. Grafenau, Uetze 2001. S. 43.

3 Jürgen Habermas: Konservative Politik, Arbeit, Sozialismus und Utopie heute. In: ders.: Die neue Unübersichtlichkeit. Kleine politische Schriften V. Frankfurt/Main 1985. S. 70.

4 Siehe Karl Marx: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie. In Karl Marx / Friedrich Engels: Werke. Band 42. Berlin 1983. S. 600ff. Mit diesem Vergesellschaftungsschub der Wissensökonomie begründete André Gorz das Bedingungslose Grundeinkommen und solidarische Formen der sozialen Infrastruktur und Produktion, die Transformation der kapitalistischen Gesellschaft generell. Siehe André Gorz: Arbeit zwischen Misere und Utopie. Frankfurt/Main 2000 und ders.: Wissen, Wert und Kapital. Zur Kritik der Wissensökonomie. Zürich 2004.

5 Siehe Karl Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte. In: Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Ergänzungsband. Erster Teil. Berlin 1981. S. 516f.

6 André Gorz: Kritik der ökonomischen Vernunft. Sinnfragen am Ende der Arbeitsgesellschaft. Hamburg 1994. S. 40f.

7 André Gorz: Arbeit zwischen Misere und Utopie. Frankfurt/Main 2000. S. 52.

8 Herbert Marcuse: Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft. Neuwied, Berlin 1968. S. 25.

9 Ebenda. S. 24.

10 Siehe Ronald Blaschke: Bedingungsloses Grundeinkommen – Ausbruch aus der Marktlogik. 2007, veröffentlicht unter http://www.archiv-grundeinkommen.de/bdi/Blaschke-Initial-200702-autorisiert.pdf

11 Erich Fromm: Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft. Stuttgart 1976. S. 93.

12 Zum Begriff der Muße siehe Hannah Arendt: vita activa oder Vom tätigen Leben. München 1994. S. 20.

13 Siehe dazu auch Fritz Reheis: Entschleunigung. Abschied von Turbokapitalismus. München 2003. S. 250ff.

14 Siehe Ronald Blaschke: Bedingungsloses Grundeinkommen – Wert und Würde des Menschen. 2007, veröffentlicht unter http://www.archiv-grundeinkommen.de/blaschke/wuerde-und-wert.pdf

15 Siehe Plattform der Initiative für Globale Soziale Rechte, veröffentlicht unter http://www.attac.de/genug-fuer-alle/neu/pages/posts/gsr–plattform-fuer-globale-soziale-rechte50.php

16 Chris Methmann: Vom Straffen des Gürtels zu einem Leben ohne Gürtel. In: Andreas Exner, Werner Rätz, Birgit Zenker (Hrsg.): Grundeinkommen. Soziale Sicherheit ohne Arbeit. Wien 2007. S. 189

17 Siehe Christoph Spehr (Hrsg.): Gleicher als andere. Eine Grundlegung der Freien Kooperation. In: Reihe Texte der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Bd. 9. Berlin 2003, S. 77f. und 105.

18 Otto Kallscheuer: Freiheit und Gemeinsinn. In: Hans Leo Krämer / Claus Leggewie (Hrsg.): Wege ins Reich der Freiheit. André Gorz zum 65. Geburtstag. Berlin 1989. S. 148.

19 Siehe Erich Fromm: Psychologische Aspekte zur Frage eines garantierten Einkommens für alle. In: Erich Fromm: Gesamtausgabe in zwölf Bänden. München 1999. Band V, S. 312ff. (auch veröffentlicht unter http://www.archiv-grundeinkommen.de/fromm/Fromm-Grundeinkommen.htm)

20 Siehe André Gorz: Arbeit zwischen Misere und Utopie. Frankfurt/Main 2000. S. 109.

oikos und grundeinkommen. Ansprüche an Transformation und Emanzipation