Blaschke, Ronald: Das Grundeinkommen – Grund genug, um über die Arbeit und das Menschliche nachzudenken, 2007 (erschienen in Das Blättchen, Zweiwochenschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, Heft 24, 2007)

Heerke Hummel, der im Blättchen Nr. 22 vom 2. deutschsprachigen Grundeinkommenskongress in Basel berichtete, ist grundsätzlich gegen das Grundeinkommen: Dessen BefürworterInnen würden die Bedeutung der Arbeit missachten. Zumindest das, was Heerke Hummel für Arbeit hält. Engels hat sie wie Marx als „erste Grundbedingung alles menschlichen Lebens“ bezeichnet, die „den Menschen selbst geschaffen“ hat. Dies ist eine philosophische Erklärung der Arbeit als Selbsterzeugung des Menschen. Die Bearbeitung der äußeren gegenständlichen Natur schafft eine gegenständliche Welt – und der Mensch macht sich (als Mensch und Gemeinwesen) selbst zum Gegenstand.

Hummel folgt aber nicht dieser Logik, die der junge und der alte Marx mit der Analyse und Kritik der entfremdeten Arbeit konfrontierte.

Hummel misst der Arbeit eine große Bedeutung zu, „die zur Menschwerdung des Affen beigetragen habe“. Also einer nicht unumstrittenen anthropologischen Sicht von Engels. Er erklärte 1876, dass  die „Menschwerdung“ durch den aufrechten Gang, durch die damit frei werdende und in der gegenständlichen Tätigkeit sich ausbildende Hand und das mithin sich entwickelnde Gehirn möglich gewesen sei. „Die Arbeit“, so führt Engels weiter aus, „fängt an mit der Verfertigung von Werkzeugen“. Diese stammesgeschichtliche Betrachtung wird von Engels angereichert durch die Feststellung, dass auch die „Fleischkost“ für den werdenden Menschen von größter Bedeutung gewesen sei: „Sie kürzte mit der Verdauung die Zeitdauer der übrigen vegetativen, dem Pflanzenleben entsprechende Vorgänge im Körper ab (…). Und je mehr sich der Mensch von der Pflanze entfernte, desto mehr erhob er sich auch über das Tier.“ Solcherart Erklärungen könnten ja heute noch einige zu der bizarren Aussage inspirieren, dass ohne Arbeit und Fleischkost mensch kein Mensch sei. Den Fleischkost-Zeigefinger erhebt Heerke Hummel nicht. Er bedauert aber, im direkten Anschluss an seine Ausführungen über Engels „Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen“, dass viele Menschen heute keine Erwerbsarbeit haben. Welch grandioser historischer Sprung von der „Arbeit der Menschwerdung“ zur heutigen vielfältigen Erwerbsarbeit unter kapitalistischen Herrschafts- und Produktionsverhältnissen: „Mit mehr Geld – so wünschenswert das wäre – hülfe man ihnen (den Erwerbslosen, R. B.) nicht grundsätzlich. Arbeit brauchen sie, jeder einzelne, eine sinnvolle Betätigung und ein ausgewogenes Pendeln zwischen Rechten und Pflichten, zwischen Schaffen und Konsumieren.“

Nicht nur das Hummel den Unterschied von Handwerk/Werkzeugherstellung und arbeitsteiliger Gesellschaftlichkeit ignoriert. Der emanzipatorische Gehalt der Marxschen Kritik an der entfremdeten Arbeit wird nicht reflektiert. Auch der Zusammenhang der Befreiung in der Arbeit und der Befreiung von der Arbeit wird nicht erfasst. Dafür begreift Heerke Hummel die menschliche Produktivität offenbar im schlechtesten volkswirtschaftlichen Sinne: „Pendeln zwischen Schaffen und Konsumieren.“ Klingt wie der Keynesianismus als „klug geleiteter Kapitalismus“ (Keynes), der sich nicht die Frage nach menschengemäßer Produktivität stellt. Diese Wirtschaftstheorie hat nur scheinbar andere Antworten als der Marktliberalismus auf die kapitalistischen Grundfragen gegeben: Wie optimiere ich den (Arbeits-)Markt, das Schaffen und Konsumieren, damit die bestehenden gesellschaftlichen, sprich Aneignungs- und Herrschaftsverhältnisse nicht angetastet werden? Wie binde ich den permanent existenziell gefährdeten Lohnabhängigen am effektivsten in die Tretmühle zugunsten der Profit- und Herrschaftsmehrung ein? Ohne dass er zu arg murrt oder gar merkt, worum es eigentlich geht. Um sinnvolle Tätigkeit ging und geht es bei dieser Einbindung primär nicht, wie einige Linke heute noch glauben. Es geht nicht um menschliche Produktivität, also um die freie  und bewusste Produktion menschlichen Lebens als Selbsttätigkeit (Marx), sondern um die bewusstlose Destruktion von Natur, Gesellschaft und Mensch zugunsten eines mörderischen, alles verschlingenden Konkurrenzbetriebes. Diese blödsinnige Tretmühle soll nun der Ort sein fürs „Pendeln zwischen Rechten und Pflichten“?

Nicht nur der junge Marx in den „Ökonomisch-Philosophischen Manuskripten“, sondern auch der alte Marx im „Kapital“ warnte vor der Identifikation der menschlichen Produktivität als Erwerbs- und Lohnarbeit. Diese unreflektierte Identifikation setzt ebenso unreflektiert die Formen der kapitalistischen Ökonomie voraus. Da war auch André Gorz weiter, der eben nicht meinte, wie Hummel ihm unterstellt, dass es „ein Recht auf ein anständiges Leben per Beschäftigungsgarantie“ gäbe. (Beschäftigung ist wohl der beste Ausdruck für das „Schaffen und Konsumieren“. Man ist zu beschäftigt um menschlich produktiv zu sein). Gorz entwickelte Ideen für die Überwindung fremdbestimmter Arbeit und für Kooperationen in Freiheit – eine Freiheit, die immer auch Pflichten kennt, aber eben keine existenziell erzwungenen. Auf dass jeder Mensch seine produktiven Fähigkeiten frei ausbilden könne! Das Bedingungslose Grundeinkommen ist für Gorz notwendiger Begleiter eines solchen emanzipatorischen und gesellschaftstransformatorischen Projekts. Eines Projekts, das einige nicht mal mehr vom Hörensagen kennen – so wenig wie eben den Marxschen Unterschied von labour und free activity.

Das Grundeinkommen – Grund genug, um über die Arbeit und das Menschliche nachzudenken